Pulp Die Macht des Normalen
Interview: Kerstin Grether, Photographer: Rainer Holz
Taken from Spex Magazine, October 1995

Sie sind die verdrehteste Brit-Pop-Band und sie kennen alle Dramen des Dandytums: Mutter-Identifizierung und Einsamkeit, Exzentrik und Gebasht-Werden, Armut und smarte Re-Invention. Kerstin Gretger porträtiert Jarvis Cocker und ein Gesellschafts-Modell jenseits von Ladism und p.c.-Identitäts-Strategien.

Brit-Pop... und es geht wieder um Songs, die das Leben versüßen sollen... kleine Geschichten mit großer Wirkung... the making of Popstars... die Überzeugung, daß Style schon Politik ist... die Illusion von gesellschaftlicher Relevanz wegen hoher Charts-Plazierungen... daß die Einzelnen, in Bands organisiert, wirklich Vieles für Viele aussprechen können... weiße Jungs-Bands meist, die mal wieder für sich in Anspruch nehmen, die Stimmung der Zeit auf den Punkt zu bringen... John Peel spielt neue Riot-Girl-Bands als Kontrastprogramm... und Pop muß dafür mal wieder heilig sein... Pop ist die Börse, Pop ist Diskussionsstoff, Lebensfutter, Alltags-Accessoire... die Erleichterung, daß es wieder welche geschafft haben und man dabei sein darf... eine Nation fiebert den neuesten Schallplatten-Verkaufszahlen entgegen, die endgültig zeigen sollen, ob Blur oder Oasis die Band Nummer 1 sind... der Groove ist abgestellt, die Zeiger stehen auf England-Sieg...

Anachronistische Auseinandersetzungen finden da statt, könnte man meinen, wenn man die Szene so beobachtet oder die Brit-Pop-Artikel in der letzten Ausgabe gelesen bat. Keine soziale Mobilisation findet mehr statt, keine hart errungenen Außenseiterpositionen, die sich plötzlich on top of the charts wiederfänden. Aber es gibt Grund zu der Annahme, daß zumindest Pulp eine Ausnahme bilden. Sie könnten die Dexys Midnight Runners des Brit-Pop sein: smart, schwelgerisch, klassenkämpferisch, sloganhaltig. »There is a war in progress. The time to decide whose side you're on is here«: Das haben sie aufs Cover ihrer Single »Common People« geschrieben, die von Null auf Platz 2 in die englischen Charts eingestiegen ist.

Welche Seiten sind es, von denen hier die Rede ist? Kann eine weiße Jungs-Band, die sich vom androgynen Glam vergangener Tage nährt, überhaupt noch subversiv sein? Ist das Modell einer Re-Invention durch Style noch praktikabel in Zeiten, wo Leute mit den vorgefundenen (Zwangs-) Identitäten Politik machen? Und vor allem: Wie sieht's eigentlich mit der Musik aus, und was sind das so für Typen?

Pulp befinden sich im 15. Jahr ihres Besteheris. Jarvis Cocker, der Frontman, bat die Band mit 18 Jahren in der Schule gegründet: »Damals war ich ein Kind, jetzt bin ich ein Mann, und in der Zwischenzeit sind die fürchterlichen 80er Jahre zu Ende gegangen. Es mußte etwas zwischen den Siebzigern und den Neunzigern geben, aber die Achtziger waren für niemanden gut. Elne schreckliche Dekade für Musik in England.«

Die Achtziger waren auch Jahre des Mißerfolgs für Pulp, die erst mit »His 'n' Hers«, ihrem vierten Album vom letzten Jahr, richtig bekannt geworden sind. Aufgrund ihres Wechsels zu Island Records konnten sie sich das erste Mal einen richtigen Producer leisten, und man hört der Platte an, daß jedes einzelne Element sorgfältiger ausgearbeitet und ausschraffiert worden ist. Das gilt auch für die neue Platte »Different Class«.

Hört man sich heute ihr Frühwerk an, zum Beispiel die 83er-Red-Rhino-LP »It« oder die 86er-Fire-Records-EP »Dogs Are Everywhere«, so fällt auf, daß sie damals wirklich nur eine weitere nette Dark-Wimp-Pop-Band waren. Spartanisch-theatralische, swingende Pop-Balladen auf »It«; pathetischere, dunkle, glamouröse Pop-Dramen auf »Dogs Are Everywhere« - immer pendelnd zwischen Verzweiflung und Gelöstheit. Kitchensink-Dramen waren das damals, kleine Ausflüge in die Stadt hinein, bizarre Geschichten über die Behauptung, daß Menschen direkt von Hunden abstammen.

Auf »His'n' Hers« geben sie sich erstmals nicht mehr mit kleinen komischen Stories zufrieden, statt dessen reife prosaische Darstellungen mit gut sitzenden Details. Geschichten über dünne Typen mit langen schwarzen Haaren, die sich nur von Lippenstift und Zigaretten ernähren. Über schweifende Albträume an gleißenden Nachmittagen, Liebesnöte, Adoleszenz-Stories.

Die Idee, daß Pop ein komplexes Gebilde ist, das auf mehreren Ebenen funktioniert. Wie dunkler Post-Stranglers-New-Wave der Echo-&-The-Bunnymen-Ära. Sie sind einfach zerquälter, Oscar-Wilde-ischer als die ganzen Lad-Bands, irgendwie verdrehter, nicht so straight. Mit seinen brüchigen leidenschaftlichen Vocals singt Jarvis Cocker von zeitlichen Bestürzungen, peinlichen Mißgeschicken, unheimlichen Stimmungen, von den Risiken des Aufwachsens und des Lebens überhaupt. Vom Meistern der Verzweiflung durch Pathetik, der Not mit ernsthafter Poetik, den Unwägbarkeiten mit mutiger Risikofreudigkeit - immer gepaart mit dem Genuß des großen Gefühls, der Begeisterung fürs Tragische, der Betonung des Einzelschicksals, musikalisch schon mal mit Geigen untersetzt.

Zwischen aufgeklarten luftigen Stellen und zürnenden schweren werden zarte, beschwingte Harmonien mit einer New-Wave-haften schwelgerischen Kälte gelegt. Sehnsucht und Fülle. Immer wieder von Zweifel durchsetzte Euphorie. Die Stücke sind auf eine gute Art angreifbarer und autobiographischer als beispielsweise Blur, sie sind geprüft auf eigene Realitäten hin. Skizzen eines angebrochenen Lebens. Das gebrochene Insistieren auf ein geglücktes Ende der Story. Der Glaube an Pop ais feste Größe die etwas anzeigt. An ein Fortschreiben von Utopien. Als ginge der Himmel weiter. Durch persönliche Ereignisse hindurch kommt man zu sozialen Kommentaren. Stücke, die entlegene, vorüberhuschende Bilder nach vorne rücken wie Autorückspiegel. Artifizielle Art-Schoolismen und theatralische Androgynitäten, auch schwankend zwischen Ausbruch und Festgehaltensein im Gefühlsgefüge.

Visionär ist weniger der Sound als der Entwurf von Pulp ais Band im Kontext Brit Pop. Jarvis Cocker orientiert sich an Serge Gainsbourg, Scott Walker, Lee Hazelwood. Sein Selbstbewußtsein ist durch so viele Erschütterungen gegangen, daß von eitler Selbstbebauchpinselung nicht die Rede sein kann. Wenn man ihn fragt, welche Auswirkungen der Erfolg für ihn bat, dann antwortet er, daß ihm der Erfolg den Beweis erbracht hat, nicht verrückt zu sein: »Ich fühle mich auf einer persönlichen Ebene sicherer, weil Leute sich entschieden haben zu denken, daß wir okay sind. Das gibt dir ein besseres Gefühl dir selbst gegenüber. Wenn du etwas zehn Jahre lang tust, und keiner beachtet das, dann fängst du in schwierigen Nächten an, dir Sorgen zu machen. Es könnte ja alles falsch sein, was du tust. Wenn die Leute es dann mögen, kannst du denken: Ich batte die ganze Zeit recht, ich bin gar nicht verrückt«.

Jarvis Cocker trägt einen engen, schwarzen Trenchcoat und sieht sehr mod-like, sehr dandyhaft aus. Er hat etwas von einem bleichen ekstatischen Träumer. Er ist der Inbegriff eines Popstars, der aus finsteren Zeiten kommt und sich selbst in ein helles Licht geschossen hat. Immer wieder erwähnt er im Interview, was für ein weirder, unbeliebter Typ er doch in seiner Schulzeit gewesen ist. Er war einen halben Meter zu groß, trug eine Zahnspange (Cocker: »Ich konnte nur lispein«), eine dicke Brille, einen unmöglichen Namen, er hatte feminine Bewegungen, prosaische Neigungen und keinerlei Freundschaften zu gleichaltrigen Jungs.

»Als ich so 14 wurde, bin ich ein bißchen traurig geworden, ich habe mich den ganzen Tag in meinem Zimmer verkrochen, bin nicht mehr rausgegangen. Das war nicht sehr gesund« Daß er der britischen Presse mittlerweile als Sexsymbol gilt, ver wundert ihn noch mehr. »Ich hatte nie eine Freundin, als ich noch zur Schule ging. Erst als ich die Schule verließ und mit Weirdos herumhing, habe ich jemanden gefunden, der mich haben wollte.« Kurz bevor Pulp sich an die Aufnahmen zu einer zweiten Platte machen konnten, unterlief Jarvis ein größeres Mißgeschick: Um einem Mädchen zu imponieren, gab er sich als Spiderman aus - und fiel aus dem Fenster. So mußte er Konzerte eine Zeitlang im Rollstuhl absolvieren.

Als er in das große Hotel-Besprechungs-Zimmer einläuft, in dem unser Interview stattfinden soll, läßt er als erstes die Jalousien runter und spielt mit den Fingern so komische Schattenspiele, danach läßt er unvermittelt die Jalousien wieder hoch. Wenn ich die Vibes in dem Raum richtig gedeutet habe, hat er das nicht gemacht, um zu demonstrieren, wie seltsam er doch ist, sondern einfach weil es kalt im Zimmer war, die jalousien etwas Schützendes haben, und die Hände auf diesem Weg in Bewegung bleiben. So haben auch sinnlose Aktionen bei ihm durchaus ihren pragmatischen Kern.

Ich bin von meiner Mutter aufgezogen worden, und es gab nicht viele Männer um uns herum. Ich habe alle Sachen, die mit Sex und so zu tun haben, gelernt, als ich mit 13, 14 die Gespräche meiner Mutter mit ihren Freunden in der Küche mitgekriegt habe. Alles über Sex lernte ich so aus einer Frauen-Perspektive. Ich hatte nicht diese Jungs-Sozialisation, dieses hanging around with other guys. Das unterscheidet uns von den anderen Brit-Pop-Bands: Unsere Stücke beziehen immer eine weibliche Sicht der Dinge mit ein.«

Oft wird beim Sprechen über Pop unterschätzt, daß ein positiver Bezug aufs Mütterliche auch ein gewisses Widerstandspotential gegenüber männlichen Institutionen beinhalten kann. Denn in einer frauenfeindlichen Gesellschaft darf die sorgende Kraft des Mütterlichen keinen allzugroßen Einfluß auf Jungs annehmen. In den allgegenwärtigen Umerziehungs-lnstitutionen wie Freizeitverein, Militär, Jungs-Clique, Schule muß eine andere Prägung her. Ein aggressiveres Verhalten, immer pendelnd zwischen unkontrollierten Grenzüberschreitungen, welches das Einhalten der Regeln für den Einzelnen bereithält und die Angst, aus der Institution verwiesen zu werden.

Nichts ist schlimmer als dieses latent und offen gewalttätige Verhalten, das in hierarchisch organisierten, männerdominierten Institutionen eingeübt wird - und Pop-Androgynitäten waren immer ein Mittel dagegen. Von Roxy Music über David Bowie his hin zu Morrissey. Natürlich gelit damit auch ein gewisser Leidensdruck einher, eine selbstgeschaffene Außenseiterlinie, die heute dafür sorgt, daß Pulp die äußere Grenze dessen sind, was Brit-Pop an Androgynitäten zuläßt.

Andererseits halte ich es für falsch, das Androgyne immer ausschließlich von seiner positiven Seite aus zu bewerten. Androgynitäten waren in der PopMusik immer auch ein Mittel, sich selbst als die besseren Frauen darzustellen, angetrieben von der Vorstellung, man könnte noch sensibler, noch einfühlsamer, noch verletztlicher sein, gerade weil man keine 'echte' Frau ist. Gerade beim BritPop muß man mit einer Feier des Androgynen vorsichtig sein, denn diesmal sind es ganze Horden von fast ausschließlich Jungs, die sich in ilirer ganzen, auch geschlechtlich schillernden Bandbreite darstellen, so daß man die realen Frauen gar nicht mehr braucht. Die ganze Palette menschlicher Daseinsweisen wird aus einem Jungs-Pool heraus geschöpft. Oder, urn es mit der feministischen Kritikerin Susanne Moore zu sagen: »Male gender tourists are merely (ab)using the male privilege to dabble in the Other; they try on 'Optional feminine subjectivities' for size, while evading the less desireable aspects of female existence that are not so easy to divest if you're a real woman«.

Nochmal andererseits betont gerade Jarvis Cocker im Interview, daß er, der auch mal in Frauenkleidern rumgelaufen ist, auf der Straße in Sheffield öfter verfolgt, angemacht, verprügelt wurde wegen seiner außergewöhnlichen Kleidung, seines individuellen Stils - und das ist dann schon wieder ein Wagnis. Es ist deshalb die absolute Verteidigung des Individuellen, die Pulp antreibt. Und Jarvis Cocker zieht die Neunziger den Achtzigern vor allem deshalb vor, well er glaubt, man könne in den Neunzigern ein bißchen individueller sein.

Die Gewalt-Erfahrung auf der Straße wird oft in Pulp-Songs thematisiert, zum Beispiel in »Joyriders«. Bei ihnen wird der große Pop-Kampf des Individualisten nochmal mit einer Schärfe durchbuchstabiert, die man kaum noch vermutet hätte. Trotz seiner Angestaubtheit ist es in diesem konkreten Fall lohnenswert, sich nochmal darauf einzulassen.

Hauptmotor ihres Schaffens ist der Haß auf das Normale, auf alles, was sich durch Überpräsenz als natürlich ausgeben kann. Vor allem das Reich der uniformierten, aggressiven Freizeit-People sehen sie als etwas zutiefst Fragwürdiges an. Das Normale gilt ihnen immer als das eigentlich Merkwürdige.

Der beste Song auf »Different Class« handelt von diesem Thema. »Mis-Shapes« ist eine Hymne, die nie ganz zur Hymne wird, well immer nur einige wenige Textzeilen stark betont sind, his aufs Äußere gespannt, andere werden bewußt melodielos gehalten. Das Stück handelt von einer Art Gegenschlag des Verstandes. Die außerirdischen Einzelgänger sollen aus ihren Seitenstraßen herauskommen und sich gemeinsam gegen die Schlägertypen formieren. Das Lied selber kreist in aufrührerisch-smarten Bewegungen, wie man sie von den frühen Style Council oder Dexy's Midnight Runners kennt: »We're making a move, we're making it now, we're coming out of the sidelines. We won't use guns, we won't use bombs, we'll use the one thing we've got more of - that's our minds. Yeah!«

Jarvis Cocker: »In Sheffield gibt es viele Leute, die sich zu einer Gang zusammenschließen und durch die Stadt laufen. Sie trinken Alkohol und sind nur darauf aus, eine Schlägerei anzufangen. Und sie picken sich immer die Leute heraus, die eine individuellere Art haben, sich anzuziehen. Das Problem mit diesen Einzelgängern ist, daß sie so isoliert sind, gerade well sie einen individuelleren Weg gewählt haben. Sie haben nicht diese Gang-Mentalität. An Wochenenden gibt es bestimmte Teile der Stadt, in die du nicht gehen kannst - wenn du zur falschen Zeit am falschen Ort bist, wirst du verfolgt. Das Stück »Mis-Shapes« ist eine Phantasie darüber, ein Traum, wie es wäre, all die Einzelgänger zusammenzubringen zum Kampf, um das Hirn statt Gewalt zu benutzen, weil Gewalt immer schon das Mittel der Gegenseite ist.«

Aber gibt es Beispiele dafür, daß Verstand statt Gewalt funktioniert? »Wir selbst sind ein gutes Beispiel dafür«, antwortet Jarvis Cocker. »Wenn wir mit unserer Art, Texte und Musik zu schreiben, an der Spitze der Charts stehen, dann ist das ein Sieg des Verstandes«. Das Lied »Mis-Shapes« endet wie ein gerade sich im Auslaufen befindendes, abgestelltes Maschinengewehr.

Das ist mehr als nur intelligent gemachte Popmusik, sie enthält reichhaltige Beobachtungen darüber, wie unerträglich es ist, werm Leute sich autoritär aufführen. Nichts habe ich in der Schule mehr gehaßt als die Art, wie die AchtkIässler die Siebtklässler rumkommandierten, werm sie Pausenaufsicht hatten. »Mis-Shapes« ist ein beachtenswerter Song, weil er das nicht nur feststellt, sondern darüberhinaus sagt, daß es besser ist, nicht mit der Hand zurückzuschlagen, um, sich nicht auf so viel Dummheit einzulassen.

Das sind die Seiten, von denen ich anfangs gesprochen habe. Und Pulp handeln davon, daß schon allein das Leben in einer Klassengesellschaft keinen ungeprägt läßt. Daß es Seiten gibt und man nicht unschuldig sein kann. Man steht immer irgendwo. Es gibt keine Idyllen, und wenn, dann sind sie hart erarbeitet. Gehörst du zu denen, die schlagen, oder zu denen, die geschlagen werden, wenn sie sich nicht schleunigst wehren, fragt diese Musik.

Bis hierher hat das allerdings noch eine freiwillige Komponente. Es ist ein Unterschied, ob man auf der Straße angemacht wird, weil man ausgefallene Klamotten trägt oder weil man einer vermeintlich anderen 'Ethnie' angehört. Bei Pulp kommt genau an dieser Schnittstelle der Klassen-Aspekt hinzu. Jarvis Cocker und Steve Mackey kommen aus einer eher armen Gegend in Sheffield und haben ihren großen Hit aus genau diesem Stoff gemacht. »Common People« handelt von einem Upper-Class-Mädchen, einer Kunst-Studentin vom St Martin's College, die besessen von der Idee war, kreativer sein zu können, wenn sie mit gewöhnlichen Leuten in einem Armenviertel leben würde.

Also: Sie bat Jarvis, sie ins Leben der Common People einzuführen. Man muß diesem croonigen Lied seine stellenweise Überproduziertheit verzeihen, nicht nur, weil die Konsensfähigkeit in diesem Fall wirklich clever gemacht ist, sondern auch, weil es wirklich gute Pointen enthält: »I took her to a supermarket. I don't know why but I had to start it somewhere, so I started there. I said pretend you've got no money, she just laughed and said oh you're so funny. I said yeah? Well I can't see anyone else smiling in here.«

Jarvis Cocker: »Was die Leute in diesen Armenvierteln auszeichnet, ist die Sache, daß sie nicht entkommen können, natürlich wollen sie entkommen, aber sie können nicht, weil sie nicht genügend Geld oder genug Intelligenz haben oder was auch immer. Aber dieses Mädchen hätte jederzeit gehen können, sie hätte nur ihren Vater anrufen müssen, deshalb kann sie gar nicht so leben wie einfache Leute leben. Ich habe versucht ihr das zu erklären, aber sle hat das nicht verstanden.

Aber warum hat Cocker aus einer solchen Geschichte diesen eingängigen, sloganhaften Song gemacht? Es muß ihm dabei doch um mehr gegangen sein, als nur darum, eine Story zu erzählen? »Es handelt sich um ein persönliches Ereignis, das ich zu einem sozialen Kommentar ausgearbeitet habe«, so Jarvis Cocker. »Denn die Haltung dieses Mädchens ist weit verbreitet. Ich erinnere mich daran, daß es im letzten Jahr in den USA unheimlich viele Artikel zum Thema 'White Trash' gegeben hat. Die Leute aus der Mittelschicht sind fasziniert von Lower Class Culture, und das ist eine Art von Voyeurismus, den ich nicht mag. Sie schauen sich Filme an, an denen Lower Class People Gefallen finden, als so eine Art kleines Fenster zur Welt. Mir ist dieses Phänomen bewußt geworden, und so fiel mir das Mädchen wieder ein. Ich nahm sie als zentrale Figur in meinen Song auf«. Auch das: a cheap holiday in other people's mysery.

Steve Mackey: »Der Witz an dem Lied ist ja, daß dieses Verlangen, so wie einfache Leute leben zu wollen, total verquer ist. Jeder der mal arm war, will niemals mehr arm sein. Das ist der Punkt an dem Song. Jarvis und ich haben 10, 15 Jahre gebraucht, um erfolgreich zu sein. Wir gingen durch schreckliche Zeiten, in denen wir nie Geld hatten. Und wenn du das kennst, wirst du Armut nicht mehr romantisieren.«

Glauben die denn an eine soziale Mobilisation durch die Verbindung von Pop, Glamour, Klassenkampf und Chartserfolg? »Ich glaube wirklich«, meint Jarvis Cocker, »roughe einfache Leute würden unsere Musik nicht mögen. Ich bin, wie gesagt, auch von solchen Leuten so oft wegen meiner Kleidung bIöd angemacht worden, so daß ich denen nichts schuldig bin. lch fühIe mich nicht zuständig für das Proletariat.«

Steve Mackey: »Man darf darüber aber nicht zum Kultur-Faschisten werden und sagen: Ihr müßt unsere Musik jetzt verstehen. Wenn meine Mutter einfach nur ein Lied vor sich bin summt, ist das auch okay. Wir kriegen Briefe von Acht-oder Neunjährigen, die den Inhalt unserer Texte nicht verstehen, aber uns trotzdem mögen. Davon handelt Popmusik. Sie hat immer mehr als nur eine Funktion. 'Common People' war ein großer Hit in England, und ich denke schon, daß dies zumindest auf der mentalen Ebene etwas bewegen kann. Meine Eltern und ihre Freunde haben das erste Mal ein Lied von uns gut gefunden.«

Jarvis Cocker: »Es könnte auch das letzte Mal gewesen sein.«

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